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Lückenschluss oder Lückenöffnung im Seitenzahnbereich - Teil 2

01.07.2022

Für Zahnlücken sind nicht immer Unfälle oder zu weit auseinander stehende Zähne verantwortlich. Manchmal sind Zähne von Natur aus gar nicht erst angelegt. Was die Ursachen für solche Nichtanlagen sind, welche Folgen sie haben und wie die Behandlung aussieht.

Der Fakt, dass eine Nichtanlage nicht nur die Ästhetik, sondern vor allem auch die Funktion des Gebisses negativ beeinflussen kann. Von daher ist hier große Wachsamkeit geboten. Bei Verdacht auf Nichtanlagen sollte man rechtzeitig die Diagnose stellen und die Weichen für das Wachstum und die langfristige Therapieplanung stellen.

Natürlich fehlende Zähne durchaus keine Seltenheit

Angeborene Nichtanlagen von Backenzähnen sind keinesfalls selten, sondern eine der häufigsten zahnmedizinischen Fehlbildungen. Etwa 5,5 Prozent der Bevölkerung sind von einer Unterzahl der Zähne, einer sogenannten Hypodontie betroffen, Frauen häufiger als Männer. Das Milchgebiss ist seltener betroffen als das bleibende Gebiss. Nichtanlagen werden daher in der Regel im Wechselgebiss, also zwischen 6 und 14 Jahren bemerkt. Meist ist dann der untere zweite kleine Backenzahn (Prämolar) betroffen.

Was sind die Ursachen für Nichtanlagen von Zähnen?

Zunächst einmal muss man unterscheiden zwischen Zähnen, die von vornherein nicht angelegt sind, und Zähnen, die nicht durchbrechen oder deren Keime verkümmert sind. Bei von vornherein nicht angelegten Zähnen gibt es zum einen genetische Ursachen. In diesem Fall beobachtet man oft eine Häufung in der Familie. Eine Nichtanlage kann aber auch multifaktorielle Ursachen haben und die Folge einer Krankheit oder Teil einer Fehlbildung sein. Zu einer Unterzahl von Zähnen kann es auch durch einen Unfall (Trauma) oder im Kiefer verlagerte Zähnen kommen, die nicht eingeordnet werden können. 

 

Zustand nach Zahnextraktion bei nicht erhaltungswürdigen Zahn 16 und einseitigem kieferorthopädischem Lückenschluss @ZKFO - Dr.Kutz

 

Wie sieht die Behandlung von Nichtanlagen aus?

Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten: Lücke auf oder Lücke zu. Lücken durch nicht angelegte Zähne im Ober- und Unterkiefer können mittels Kieferorthopädie entweder für eine (spätere) prothetische Versorgung offengehalten oder weiter geöffnet werden, wenn durch Aufwanderung der Zähne die Lücken teilweise geschlossen wurden. Oder aber man schließt die Lücke durch eine kieferorthopädische Behandlung, indem die Nachbarzähne den nicht angelegten Zahn ersetzen. Dies kann mit herausnehmbaren Therapiegeräten (z. B. Aligner) sowie festsitzenden Apparaturen (Brackets) geschehen. 

Für die prothetische Versorgung kommt als Langzeitversorgung in der Regel ein Implantat in Frage. Bei Jugendlichen wird bis zum optimalen Implantatzeitpunkt nach Abschluss des Wachstums, im Frontzahnbereich meist eine Klebebrücke eingesetzt. Bei fehlenden Zähnen im Seitenzahnbereich werden ebenfalls Implantate als Ersatz der Zähne eingesetzt. Selten kommt eine Brücke oder eine herausnehmbare Prothese zum Einsatz.

Was spricht für den kieferorthopäischen Lückenschluss bei Nichtanlagen?

Für einen kieferorthopädischen Lückenschluss sprechen ein deutlich geringerer prothetischer Aufwand, da kein Zahn ersetzt werden muss. Im Anschluss an eine kieferorthopädische Therapie ist meist keine aufwendige Behandlung beim Zahnarzt mehr notwendig. Außerdem fallen die Kosten für Brücken, Implantate oder anderen Zahnersatz weg. Die kieferorthopädische Behandlung zum Lückenschluss bei Nichtanlagen wird von der gesetzlichen Krankenkasse bezuschusst, da die Kriterien für die KIG-Einstufung erfüllt sind. Wird z. B. im Oberkiefer ein Eckzahn in die Lücke eines nicht angelegten seitlichen Schneidezahns bewegt, muss im Nachgang meist nur noch die Eckzahnoptik ästhetisch angepasst werden (Formoptimierung mittels Komposit oder Veneers). Inwieweit auf die Extraktion von Weisheitszähnen verzichtet werden kann, wenn Lücken von fehlenden Zähnen im Seitenzahnbereich geschlossen werden, muss individuell geklärt werden. 

Beim Lückenschluss von nicht angelegten Zähnen mit traditioneller Kieferorthopädie wird der Zahnbogen in seiner Breite verkleinert. Der funktionelle Raum für die Zunge wird eingeschränkt und oft zeigen sich negative ästhetische Auswirkungen im Gesichtsprofil oder beim Lachen. Mit modernen Behandlungsmethoden wie z. B. dem Mesialjet kann dies verhindert werden.

 

Klinische Situation - passend zum oben aufgeführten Röntgenbild @ZKFO - Dr.Kutz

 

Was spricht für die Prothetische Versorgung bei Nichtanlagen?

Schaut man sich die Vorteile einer kieferorthopädischen Lückenöffnung an, so sind hier die anatomisch korrekt bleibenden Positionen der angrenzenden Zähne zu nennen. So stehen die Nachbarzähne nach erfolgter Lückenöffnung noch immer an der Stelle im Zahnbogen, die Mutter Natur für sie vorgesehen hat. Das funktionelle Gleichgewicht kann rekonstruiert werden und funktionelle Einschränkungen durch ein verändertes Ineinandergreifen der Zähne (Okklusion) mit Langzeitfolgen vermieden werden. Da der Zahnbogen nicht verkleinert wird, kann es auch zu keiner negativen Veränderung des Gesichtsprofils kommen. 

Auf die Kontra-Liste gehören die mit dem Ersatz der Zähne verbundenen Kosten. Wurde in jungen Jahren eine Lücke geöffnet, muss diese bis zum Abschluss des Wachstums offengehalten werden – etwa mit Retentionsplatten („Nachtspange“),  in die provisorische Kunststoffzähne eingearbeitet wurden oder durch Klebebrücken. Erst nach Wachstumsabschluss kann die Lücke endgültig prothetisch versorgt werden, z.B. mit einem Implantat.

 

Lückenschluss nach Extraktion des ersten Backenzahnes @ZKFO - Dr.Kutz 

 

Therapiewahl ist schwierige & individuelle Entscheidung 

Welche Behandlungsmaßnahmen letztlich ergriffen werden, ist eine Entscheidung, die Patient bzw. Eltern, Kieferorthopäde und Zahnarzt gemeinsam treffen sollten. Denn nur, wenn alle Aspekte berücksichtigt, die kieferorthopädischen Optionen (Lücke auf oder zu) sowie prothetischen Möglichkeiten mit Vor- und Nachteilen besprochen wurden, lassen sich optimale Ergebnisse erzielen. In die Entscheidungsfindung fließen dabei die Ästhetik, aber auch wichtige Faktoren wie das Alter des Patienten, die Kaufunktion sowie die Zahn- und Knochenverhältnisse ein. Die Entscheidung fällt oft schwer, da sie zu einem sehr frühen Zeitpunkt getroffen werden muss, wenn die Langzeitprognose noch nicht richtig eingeschätzt werden kann. Die für das Kind getroffene Wahl begleitet ist meist ein Leben lang. 

Wichtig ist in jedem Fall, das die Gebiss-Situation frühzeitig und regelmäßig kontrolliert wird, damit eine Nichtanlage frühzeitig erkannt, entsprechend beurteilt, Risikofaktoren abgewogen und erforderliche kieferorthopädische Maßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden können. Trotzdem muss nicht sofort nach Diagnosestellung eine kieferorthopädische Behandlung notwendig werden.

Quellen

  • Das Gesundheitsportal medondo.health
  • Bückmann B: Kieferorthopädie. 2009. Stiftung Warentest. Berlin. S. 23-25.
  • „Empfehlenswerte Zeitpunkte kieferorthopädischer Untersuchungen“. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie. März 2007. 
  • Goldbecher H, Boeckler AF: Fehlende seitliche Schneideähne – Lückenschluss oder Lückenöffnung? Kieferorthopädie Nachrichten. 2020:5:14-17.
  • Jamilian A, Perillo L, Rosa M: Missing upper incisor: a retrospective study of orthodontic space closure versus implant. Prog Orthod. 2015 Feb 25;16:2.
  • Kahl-Nieke B: Überarbeitung der Stellungnahme „Optimaler Zeitpunkt für die Durchführung kieferorthopädischer Maßnahmen (unter besonderer Berücksichtigung der kieferorthopädischen Frühbehandlung). 2018. 
  • Rakhshan V: Congenitally missing teeth (hypodontia): A review of the literature convering the etiology, prevalence, risk factors, patterns and treatment. Dent Res J (Isfahan). Jan-Feb 2015;12(1):1-13.
  • „Zahnimplantatversorgungen bei multiplen Zahnnichtanlagen und Syndromen“. S3-Leitlinie (Langversion). Stand: Dezember 2016. Hrsg. von der Deutschen Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich (DGI), Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), etc.